Angesichts der Finanzmarktkrise sollten u.a. die Bundesländer in vorausschauender Planung mehr Mittel für die Prävention und den Schutz vor Überschuldung zur Verfügung stellen, fordert Hilde Mattheis, die stellvertretende Sprecherin der AG Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration der SPD-Bundestagsfraktion. Sie erklärt dazu:
Seit dem 3. Armuts- und Reichtumsbericht wissen wir, dass die armutsgefährdete Schicht auf ein Viertel der Bevölkerung angewachsen ist. Ihre prekären Lebensverhältnisse bieten kaum Schutz vor dem abrupten Absturz in Überschuldung. Und vor einem Weg in die Überschuldung ist auch der Mittelstand im Falle einer Wirtschaftskrise nicht gefeit.
Sollte sich der erwartete Konjunkturabschwung einstellen, werden die Bürgerinnen und Bürger in prekären Lebensverhältnissen in weit höherem Maße als bisher auf flankierende Maßnahmen angewiesen sein, die ein Abgleiten in die Zahlungsunfähigkeit verhindern.
In der ersten Hälfte dieses Jahres ging der rasante Anstieg von Privatinsolvenzen, der seit 1999 zu verzeichnen war, ebenso zurück wie die Anzahl überschuldeter Haushalte. Aber der Einsatz von Mitteln und Möglichkeiten zur Bekämpfung und Prävention angesichts der etwa 3 Millionen überschuldeter Haushalten und 800 000 Personen in Privatinsolvenz stagniert weiterhin.
Die Schuldner- und Insolvenzberatung nimmt eine Schlüsselrolle bei der Entschuldung überschuldeter Menschen ein und leistet einen gewichtigen Beitrag zur Armutsvermeidung und -bekämpfung. Die Zuständigkeit dafür liegt bei den Ländern und Kommunen – aber in Koordination mit der Bundesregierung.
Die InsO-Finanzierung ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. So ist der Finanzbeitrag des Landes in Baden-Württemberg äußerst unbefriedigend und in Hessen gibt es seit 2005 überhaupt keine Landesmittel mehr für die Insolvenzberatung.
Laut dem „SchuldnerAtlas Deutschland 2007“ der CREDITREFORM kommen in Deutschland im Durchschnitt 5.400 Schuldner und 50.100 Personen über 18 Jahren auf eine Schuldnerberatungsstelle. Aber in Baden-Württemberg kommen auf eine Beratungsstelle 7000 Schuldner und 86.500 Personen.
Angesichts der aktuellen Lage sind die Länder in der Pflicht mehr Mittel für die Finanzierung der Beratung zur Verfügung zu stellen.
Denn die Zahl der Schuldnerberatungsstellen und der Berater hat sich seit Jahren nicht erhöht. Die Wartezeiten für eine sachgerechte Beratung bleiben weiterhin unverantwortlich hoch. Wenn nun die Anzahl neu überschuldeter Haushalte nicht mehr so rasant wie in den letzten Jahren steigt, so ist deren Abbau noch lange nicht in Sicht.
Zu befürchten ist, dass mit Verschlechterung der Wirtschaftslage neben den Millionen nicht abgearbeiteten Überschuldungsfällen weitere Hilfsbedürftige in hoher Zahl die Beratungsstellen überlaufen werden. Das bereitgestellte Beratungsangebot und die flankierenden Maßnahmen sind jedenfalls lange nicht ausreichend.
Sie sollten aber auf Stand gebracht werden, bevor im Zuge einer Rezession eine neue – und angesichts der immens gewachsenen Zahl von Haushalten in prekären Lebenslagen – viel größere Welle von überschuldeten Haushalten auf die dürftig ausgestatteten Hilfsangebote zurollen.
Deshalb darf auch der Beratungsprozess für ein Gesetz zum Kontopfändungsschutz und ein gesetzlich verbrieftes Recht auf ein „Girokonto für Jedermann“ nicht länger hinaus geschoben werden. Wenn sie nicht noch in dieser Legislatur beschlossen werden, bedeutet dies eine weitere unverantwortliche Verschleppung auf unbestimmte Zeit.
Aktionsplan gegen Überschuldung
Wir brauchen einen „Aktionsplan gegen Überschuldung“, in dem Politik (Bund, Länder und Kommunen), Verbraucher- und Wohlfahrtsverbände, Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam Präventions- und Hilfsangebote bereitstellen.
Schuldnerberatung ist ein hocheffizientes Instrument der Armutsprävention und Armutsbekämpfung. Ergebnisse einer Studie für den 3. Armuts- und Reichtumsbericht zur Wirksamkeit von Schuldnerberatung belegen dies eindrücklich. Ein Ausbau kostet zwar auch Geld. Aber Untersuchungen belegen: Jeder Euro für die Schuldnerberatung führt zu Einsparungen bei Sozialausgaben in Höhe von zwei Euro. Sie muss deshalb – auch im Interesse der öffentlichen Haushalte – ausgebaut werden, nicht nur finanziell, sondern auch auf der Ebene psychologischer und persönlicher Beratung.
Deshalb müssen jetzt im Rahmen eines „Aktionsplanes“ mehr Mittel und effektive Instrumente zur Verfügung gestellt werden, die zur Vermeidung und dem Abbau von Überschuldung gezielt beitragen.
Ein „Aktionsplan gegen Überschuldung“ hätte so auch eine enorme Funktion zur Stabilisierung des Vertrauens in den Sozialstaat. Er wäre ein deutliches Zeichen dafür, dass Bürgerinnen und Bürger, die in finanzielle Not geraten, nicht allein gelassen werden.
Vorausschauende Planung muss die für die Krisenprävention noch zur Verfügung stehende Zeit nutzen, sonst käme der Ernstfall dem Staatshaushalt teuer zu stehen.